Pedal‐Paradies Pyrenäen: Auf dem Gravelbike vom Atlantik zum Mittelmeer
Überraschungs‐Spa
Wir haben unseren Bergrhythmus gefunden: Col du Tourmalet (2.115 m), Col d´Aspin (1.489 m), Col d´Azet (1.580 m), das Flugfeld von Peyragudes (1.580 m) und der Col de Peyresourde (1.563 m) haben wir in den letzten Tagen gemeistert und wir haben somit die Hälfte der Tour bereits erledigt. Unsere Räder sorgen für Aufsehen und Unverständnis: Die Rennradfahrer schütteln über die breiten Reifen, Scheibenbremsen und Bikepacking-Taschen die Köpfe, klassischen Tourenradlern ist unser Setup zu spartanisch und sportlich. Auch bei der Reisegeschwindigkeit sitzen wir zwischen Stühlen: Die gepäckfreien Rennradler fahren uns bergauf aus den Schuhen und den Tourenradlern entgleiten wir mit unserer Wendigkeit. Die Allwegetauglichkeit sorgt dabei aber für manch zusätzliches Abenteuer.
In Viella biegen wir von der C‐28 Straße auf einen kleinen Feldweg, der dem Fluß Garonne folgt. Ein Wäldchen trennt uns von der lauten Hauptstraße. Das ist ganz lauschig, aber ein Platz für einen Biwak findet sich hier nicht. Hungrig und von über 3.000 Höhenmetern auch reichlich platt folgen wir nahe der Schrittgeschwindigkeit den seichten Kurven des Waldwegs. Nach einer Windung aber stehen wir plötzlich vor einer Art Waldschwimmbad. Völlig klar, eine Dusche haben wir nach diesem Tag nötig und Meter machen wir heute ohnehin nicht mehr. Wir lehnen unsere Räder gegen den Hang, machen die Radhose zur Badehose und tapsen zur Dusche. Als wir anschließend ins Wasser steigen, meinen wir fast zu verbrennen. Wir sind – ohne es zu merken – in die Therme von Arties gestiegen. Die heiße Quelle liegt über einer Granitwand. Das Wasser schwappt über die Kante und fließt die leicht schräg angestellte Wand hinunter ins Badebecken. Zwei hölzerne Umkleidehäuschen und ein Dixi‐Klo runden die Ausstattung ab. Laut Info‐Tafel ist die Therme kostenlos und schließt abends um 20:00 Uhr. Ein kurzer Blick und Walter und ich verstehen uns einmal mehr perfekt: Dieser Spot hat alles, was wir für einen erholsamen Aufenthalt bis morgen benötigen. Im Hintergrund verschwindet die Sonne hinter den mächtigen Bergen. Mit ihr gehen auch die anderen Badegäste. Ruhe kehrt ein. Wir erheben unseren Rotwein auf einen fantastischen Radtag.
Schmugglern auf der Spur
Der Tag ist bereits über 1.500 Höhenmeter alt. Wir haben mit dem Port de la Bonaigua auf 2.050 Meter den höchsten Pass Kataloniens am Morgen gemeistert und die Abfahrt führt uns nach Llavorsí. Hier pulsiert das Geschäft mit Rafting‐Touren auf der Noguera Pallaresa. Es ist laut, es ist heiß und es ist teuer. Nach einem kleinen Snack ergreifen wir die Flucht Richtung Port de Cabús, mit 2.300 Metern das Dach unserer Pyrenäen‐Tour. Die Fahrt sollte in jeder Hinsicht unsere Königsetappe werden, denn wir wählen die Anfahrt von Spanien aus. Die eigentliche Passhöhe liegt in Andorra. Wir folgen bei sengender Mittagshitze der Landstraße entlang des Riu Noguera de Cardós Richtung Nordosten. An jeder Gabelung weist uns das GPS‐Gerät beharrlich stets auf die kleinere Straße. Binnen weniger Kilometer ist es erst ärmlicher und schließlich richtig einsam geworden. In Alins füllen wir in einem kleinen Laden unsere Wasservorräte auf und verlassen das Tal auf einer steil ansteigenden schmalen Straße. Auf der Höhe des Dorfes Norís, welches wir links liegen lassen, gesellt sich der La Noguera de Tor zu uns. Das Tal wird immer enger, die Hänge rechts und links steigen steil an. Wir fahren trotz hochstehender Mittagssonne im Schatten und der steile, zerklüftete Flusslauf mit reichlich umschäumten Steinen sorgt für angenehme Feuchte in der Luft. Es ist klimatisch angenehm, aber dennoch irgendwie beklemmend. Das Tal wird immer enger, die Kurven barscher. Gleichzeitig wird die Straße immer schmaler und schlechter. Gerade eben passierten wir einen Tierkadaver, der mitten auf der Piste lag. „Wie soll hier ein Auto vorbeifahren?“ frage ich mich und checke auf Karte und Navi, ob wir richtig sind. Es ist verdammt einsam. Kein Wunder, dass der Port de Cabús bis in die jüngste Vergangenheit eine beliebte Route für Zigarettenschmuggler war.
Feuer am Fluss
Wir brechen aus dem verfluchten Dorf auf und arbeiten uns auf der schlechten Piste inklusive kleiner Flussdurchquerungen auf kaum acht Kilometern weitere 750 Höhenmeter hinauf. Unmittelbar nach Tor wird es wieder einsam. Ruinen mitten in der kargen Landschaft zeugen von ehemaliger Besiedlung. Erst an der Passhöhe treffen wir wieder auf Asphalt. Die Ostseite des Port de Cabús ist, wie fast alle Straßen in Andorra, bestens asphaltiert. Wir rauschen talwärts nach Andorra La Vella, steile Geraden, enge Haarnadelkurven und glühende Scheibenbremsen vertreiben die Geister von Tor. Gegenüber dem Deutschen Honorarkonsulat gibt es eine Pizza auf eine der schönsten Passfahrten meines Lebens. Was sollte nach einem solch fantastischen Gravel‐Abenteuer noch kommen? Ein fantastischer Biwak. Mit Ausnahme der ersten Nacht konnten wir kein Lagerfeuer mehr machen. Nun brutzelt ein Bio‐Steak auf dem kleinen Titangrillrost, während wir einen Rotwein schlürfen und in den La Têt schauen, an dessen Ufer wir nach einiger Zeit des Suchens östlich von Eus einen romantischen Flecken gefunden haben.
Nass auf den letzten Metern
Wir rollen Richtung Mittelmeer aus. Mit dem Col de Ternère (233 m) passieren wir die letzten Hügel. Das noch ausstehende Bad im Mittelmeer vollführen wir in Le Barcarès. Die gemütliche Nacht am Strand wird aber von einem Unwetter jäh unterbrochen. Mangels Radkartons bauen wir uns am nächsten Tag aus Luftpolsterfolie, Rohrisolierungen, Kabelbinder, Müllbeutel und Klebeband zwei handliche, aber unförmige blaue Tütenmonster, die einst unsere Bikes waren. Am winzigen Flughafen in Perpignan beginnt unser Rückflug. Am Abend nehmen wir unsere verpackten Räder wohlbehalten in Frankfurt entgegen und können feststellen: So ein Gravelbike kann sogar fliegen!
letzte Änderung: 23.02.2023
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